Wir brauchen dringend eine ehrlichere Russland-Politik
Ein Kommentar zu den aktuellen Personalentscheidungen Kiesewetter und Plötner und warum wir uns alle besser auf einen russischen Angriff auf die EU vorbereiten müssen.

Was in Sachen Personalpolitik in den Bereichen Sicherheit und Verteidigung in den vergangenen Wochen bzw. Monaten in der Bundespolitik abgelaufen ist, ist mindestens eine mittlere Katastrophe.
Wir befinden uns im vierten Jahr des größten Krieges auf dem europäischen Kontinent seit dem Zweiten Weltkrieg. Russland hat seine gesamte Industrie auf Rüstung umgestellt und lässt immer mehr Staaten von seinem Aufrüstungsprogramm profitieren, um die Ukraine zu vernichten. Für Russland heißt es: Krieg oder Kollaps. Eine Rückkehr zur zivilen Wirtschaft wird es kaum geben, dafür sind die Lieferketten inzwischen zu stark umgelenkt und Europa wird immer unabhängiger von fossilen Brennstoffen.
Russland sieht sich mit uns, mit Europa, im (hybriden) Krieg. Dieser ist in vollem Gange – ob wir wollen oder nicht.
Für uns in Europa, insbesondere Deutschland als wichtigstes Wirtschafts- und Industrieland, heißt das, dass wir den Krieg so schnell wie möglich zu Ungunsten von Russland beenden müssen. Und dabei darf es nicht zu einer „Südkorea-Lösung” kommen, wie aktuell teilweise gefordert wird, denn ein Nordkorea an unserer europäischen Außengrenze kann auf gar keinen Fall in unserem Interesse sein – und ist auch nicht im Sinne der Ukraine.
Kiesewetter und Plötner: Fatale Personalpolitik
Dass ein weitsichtiger Sicherheitspolitiker wie der Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter (CDU) nicht erneut ins Parlamentarische Kontrollgremium der Nachrichtendienste des Bundes gewählt wurde, ist ein folgenschwerer Fehler der Union. Es wird gemutmaßt, dass Kiesewetters Widerstand gegen Merz’ Fünf-Punkte-Plan und das sogenannte Zustrombegrenzungsgesetz Ursache dafür ist, dass Merz ihn nicht erneut in das wichtige Nachrichtendienst-Gremium entsendet hat.
Kiesewetter hatte in den vergangenen Jahren immer wieder Deutschland vor Russland und seinem hybriden Angriffskrieg gegen Deutschland sowie seine Unionsfraktion vor einer Zusammenarbeit mit der AfD oder dem BSW gewarnt. Gegenüber der Tageszeitung taz sagte Kiesewetter: „Das ist der Preis, wenn man eine Haltung hat.“
Eine weitere Personalie, die in den vergangenen Tagen für große Verwunderung sorgte, war die Berufung von Jens Plötner zum neuen Staatssekretär für Rüstung und Innovation im Bundesministerium der Verteidigung. Ausgerechnet Plötner. Er steht als Berater des damaligen Bundeskanzlers Olaf Scholz wie kaum ein anderer für die zögerhafte Hilfe Deutschlands für die Ukraine. Dabei müsste Plötner eigentlich Russland kennen und aus seinen Fehlern gelernt haben. Immerhin war er von 2014 bis 2017 Leiter des Ministerbüros von Außenminister Frank-Walter Steinmeier, also als Russland zum ersten Mal die Ukraine überfiel, Minsk I und Minsk II ausgehandelt wurden und Russland immer wieder alle Absprachen brach.
Dass ausgerechnet Plötner, der offenkundig nicht aus seinen Fehlern gelernt hat, die Aufrüstung der Ukraine massiv behindert hat, nun für die Verteidigung von Deutschland zuständig sein soll, ist der wahrscheinlich schwerste Fehler der Merz-Regierung bislang.
Dabei bräuchte es gerade auf dieser Stelle eine Person, die eine Start-up-Mentalität mitbringt, agil arbeiten kann, die Bundeswehr gut kennt und aus Fehlern lernt. Alles Eigenschaften, die auf den Beamten Plötner eher nicht zutreffen.
Jahrelang wollte Plötner ein gutes Verhältnis zu Russland – trotz Morden und Sabotageaktionen in Deutschland und Krieg in der Ukraine. Die Realität zeigt sich nun auch in Umfragen unter der russischen Bevölkerung: Für sie ist nun Deutschland der Hauptfeind. Das hat vermutlich auch etwas mit der Propaganda der staatlichen Medien zu tun, wo immer wieder Deutschland gedroht und als Feind markiert wird.
Sechs Bausteine für mehr Resilienz
Um der Realität ins Auge zu sehen, braucht es nun Ehrlichkeit und Weitsicht. Sobald Russland mit der Ukraine auf die eine oder andere Weise “fertig” ist, wird das nächste Land angegriffen. Sei es nun die Republik Moldau oder ein Staat im Baltikum. Wir müssen uns neben massiv gesteigerter Hilfe auf diese Szenarien vorbereiten.
Energie- und Rohstoffsicherheit konsequent vorantreiben
Massive Förderung erneuerbarer Energien und Speicherkapazitäten als Grundlage für eine krisenfeste Industrie
—> Ohne Öl- und Gaseinnahmen bricht Russland zusammen. Noch immer gelangt viel zu viel russisches Öl und Erdgas in die EU und finanziert den russischen Angriffskrieg
Kooperation und Abschreckung stärken
Stationierung schneller Eingreiftruppen („Speerspitze“) in Osteuropa, um im Ernstfall binnen 48 Stunden reagieren zu können
Regelmäßige, groß angelegte Manöver mit unseren Bündnispartnern, um Abschreckung sichtbar und glaubwürdig zu machen
Beschaffung und Herstellung wichtiger Rüstungsgüter möglichst gemeinsam mit anderen EU-Staaten in Europa und unabhängiger von den USA oder anderer unsicherer Staaten (z. B. Schweiz) organisieren
Mehr Drohnen für den Nahbereich (bis 50 km) und deutlich darüber hinaus beschaffen
Cyber- und Informationsabwehr ausbauen
Einrichtung einer zivil-militärischen Cyber-Taskforce unter gemeinsamer Führung von BSI, BfV und Bundeswehr
Professionelle Gegenstrategien gegen Desinformationskampagnen – von Social-Media-Monitoring bis hin zu strafrechtlicher Verfolgung russischer Propagandisten
Aktiv in Russland „Gegenpropaganda” verbreiten und Cyber-Gegenschläge ausüben
Zivilschutz und Reservestrukturen reanimieren
Katastrophenhelfer-Kurse an Schulen und Universitäten als AGs anbieten
Ausbau der Reservistenbasis durch freiwillige Dienstjahre und attraktive Anreizsysteme (Stipendien, Weiterbildungen)
Schaffung von mehr Heimatschutz-Bataillonen für ungediente Zivilisten, die im Ernstfall die Infrastruktur schützen
Mehr zivil-militärische Zusammenarbeit in allen Bereichen der kritischen Infrastruktur
Sanktionen als wirksames Druckmittel einsetzen
Die Sanktionen gegen Russland deutlich ausweiten, Schlupflöcher schließen und mehr Strukturen zur konsequenten Durchsetzung aufbauen
Ausweitung der SWIFT-Sperren und konsequente Einziehung eingefrorener Vermögen der russischen Eliten
Russische Agenten jagen
Das Bundesamt für Verfassungsschutz und den Bundesnachrichtendienst in ihrer Spionageabwehr und Aufklärung stärken
Mehr rechtliche Befugnisse für deutsche Nachrichtendienste im Kriegsfall, um auch auf russischem Staatsgebiet nicht nur Informationen zu beschaffen
Fazit: Umdenken bei der Ukraine ist wichtig für unsere Sicherheit
Eine wirklich ehrliche Russland-Politik erfordert mutige Personalentscheidungen, die Deutschlands strategische Handlungsfähigkeit stärken, statt sie zu blockieren und parteitaktische Spielchen zu spielen. Wir müssen jetzt Fachleute berufen, die Wissen über die Bundeswehr und hybride Kriegsführung haben und verstehen, dass Russland eine imperialistische Macht ist. Deutschland muss in Europa zum Zentrum der Abschreckung werden. Wenn man in Russland uns zum Feind erklärt, vor uns Angst hat, dann ist das ein guter Anfang. Denn so funktioniert Abschreckung.
In Sachen Ukraine müssen wir weg von „so lange wie nötig”, hin zu „bis Russland aufgibt und sich zurückzieht”.
Denn eines ist sicher: Sobald Russland seine Ziele in der Ukraine erreichen sollte – gleich auf welche Weise –, wird der Drang nach weiterer Expansion nicht enden. Dann müssen wir vorbereitet sein – personell wie strukturell. Der Generalinspekteur der Bundeswehr, Carsten Breuer, sagt, dass Russland 2029 zu einem großen Angriff auf EU/NATO-Gebiet fähig wäre. Das sind nur noch 3,5 Jahre. Auf geht’s!
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Ja, es stimmt. Ich würde unser Verhalten schon fast als „westeuropäische Ignoranz“ einstufen.
DANKE für die Deutlichkeit, der Inhalt ist umfassend richtig!
Die Abbildung hingegen ist nicht hilfreich (scheiß AI, die nichts versteht) – ich möchte den Artikel an "schwankende" Freunde senden... die schalten sofort weg, wenn sie diesen russ. Soldaten so sehen. Die haben nämlich ANGST vor der Wahrheit, die Abb. verstärkt die Angst. Und hindert, die Wahrheit anzuschauen (nicht mich!).